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Die nicht-jüdische Bevölkerung von Breisach wurde Anfang Dezember 1944 wegen der zunehmenden Gefährdung durch Bombenangriffe ein drittes Mal evakuiert. So mussten sie nicht mit ansehen, wie ihre Stadt am 4. Februar 1945 in Schutt und Asche gelegt wurde. 85 % der Stadt waren danach zerstört. Der Großteil der Häuser, die jüdischen Breisachern gehört hatten, blieb allerdings wiederum verschont. Französische Truppen befreiten die Stadt am 21. April 1945. Albert Ziehler, der katholische Ehemann der nicht deportierten Jüdin Selma Ziehler, ging mutig mit einer weißen Fahne den Befreiern entgegen und konnte bewirken, dass von weiteren Zerstörungen abgesehen wurde. Er wurde für die ersten Wochen nach Kriegsende als Bürgermeister bestimmt.
Wenige Wochen nach der vollständigen Kapitulation Nazideutschlands am 8. Mai 1945 und dem Ende des Zweiten Weltkriegs auf dem europäischen Kriegsschauplatz besuchten frühere Breisacher ihre Heimatstadt: Ludwig Dreyfuss machte – aus dem Exil in Frankreich kommend – einen Tagesausflug und schrieb einen Bericht, der unter den in alle Welt verstreuten Breisachern zirkulierte.
Walter Breisacher, Werner Dreyfuss, Gerald Schwab und Hans Weil kamen als Angehörige der US-Army und trugen die Uniformen der Befreier. Gerald Schwab (1925–2014) hielt seine Eindrücke vom zerstörten Breisach 1945/46 mit der Kamera fest. Einige seiner Verwandten hatten nahe der Judengasse gelebt, andere im Stadtzentrum.
Abb.: Raphael Levi mit seinem Enkel Leopold Marx (Poldi), vor 1936, Sammlung Blaues Haus Breisach.
Raphael Levi wuchs mit seinem Bruder Heinrich und sechs weiteren Geschwistern in Breisach auf. Den Hof seiner Eltern in der Kupfertorstraße bewirtschaftete der Viehhändler mit seiner Frau Ida, geborene Neuburger. Sie hatten zwei Töchter. Wie viele Breisacher Juden hatte Raphael Levi im Ersten Weltkrieg als Soldat gekämpft.
1939 folgten Raphael und Ida Levi dem Drängen ihres Schwiegersohns Samuel Marx, nach Zürich zu seiner Familie in die sichere Schweiz zu kommen. Sie mussten alles, was ihr Leben bisher ausgemacht hatte, zurücklassen, auch ihre zweite Tochter Fanny. Sie befand sich wegen einer schweren Erkrankung schon viele Jahre lang in psychiatrischen Kliniken. 1941 wurde sie von den Nationalsozialisten in der Tötungsanstalt Hadamar (Hessen) ermordet. Raphaels Bruder Heinrich floh ebenfalls mit seiner Frau 1939 nach Zimbabwe (Rhodesien) in Afrika, wo bereits seine Söhne mit Familien lebten.
Ida Levi starb 1946 in Zürich. Aus Heimweh kehrte Raphael Levi Ende Mai 1948 in seine Heimatstadt zurück und bezog wieder sein Haus am Kupfertorplatz. Nur wenige Wochen später stürzte er schwer und starb Anfang Juli im Krankenhaus. Er wurde auf dem jüdischen Friedhof Isenberg bestattet.
Raphael Levis Enkel Leopold Marx berichtete im Das Blaue Heft 1 über seine “Erinnerungen als Ferienbube an Breisach zur Zeit der NSDAP” (S. 40–44, hg. vom Förderverein Ehemaliges Jüdisches Gemeindehaus Breisach e.V.)
Abb.: Selma Ziehler und Berthold Levy, 1948, Stadtarchiv Breisach.
Als einziges Mitglied der jüdischen Gemeinde Breisach kehrte Berthold Levy – vier Jahre nach Kriegsende – in seine Heimatstadt zurück. Er hatte die Gefangenschaft in den Internierungslagern in Südfrankreich überlebt.
Er, seine Frau Julie und ihre jüngste Tochter Gretel hatten die Evakuierung im September 1939, ihre Rückkehr im Juli 1940 und die Verschleppung nach Rouffach im August 1940 erlebt, bevor sie aus Breisach in das Internierungslager Gurs deportiert wurden. Im März 1941 wurde die Familie in das Lager Rivesaltes verlegt. Gretel wurde von einer Hilfsorganisation aus diesem Lager geholt und von einem Heim der Éclaireurs israélites de France (EIF) in Moissac bei Montauban aufgenommen. Die EIF ist eine jüdische Pfadfinderorganisation. Gretel Levy gründete nach dem Krieg eine Familie in Frankreich.
Ihre Mutter Julie war im Lager Rivesaltes gestorben. Drei Geschwister wurden aus verschiedenen Städten in Vernichtungslager der Nationalsozialisten verschleppt und ermordet. Eine Schwester konnte sich nach England retten und ihr Bruder Bruno kämpfte in Frankreich in einer Widerstandsorganisation und überlebte.
Bei seiner Rückkehr fand Berthold Levy sein Haus besetzt und in seiner Wohnung nichts mehr von seiner eigenen Einrichtung vor. Wenige Wochen nach der Deportation der jüdischen Breisacher hatten die Nationalsozialisten deren Häuser und Wohnungen öffnen und den Hausrat zu Spottpreisen versteigern lassen.
In alle Häuser der Judengasse waren Menschen einquartiert worden. Im Staatsarchiv Freiburg finden sich sieben Akten, die von Berthold Levys langem Kampf mit den Entschädigungsbehörden erzählen. Zuerst musste er darum kämpfen, eine Ein-Zimmerwohnung in einem seiner beiden Häuser beziehen zu dürfen.
Zu den Gottesdiensten, die die kleine Gemeinde der Holocaustüberlebenden aus dem Breisgau feierte, reiste Berthold Levy nach Freiburg. Er übernahm die Aufgabe des Vorsängers.
1957 starb er in seinem Haus in der Judengasse und wurde auf dem Neuen Friedhof begraben.
Das Blaue Heft 1 dokumentiert das Schicksal der Familie Levy, (S. 28–33, hg. vom Förderverein Ehemaliges Jüdisches Gemeindehaus Breisach e.V.)
Abb.: Ludwig und Mathilde Dreyfuss, um 1980, Louisette Clorer-Dreyfus.
Fotografie von Gerald Schwab, 1946, United States Holocaust Museum.