Blaues Haus Breisach

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Helferinnen und Helfer
der Deportierten in Gurs

Angehörige der Deportierten, Hilfsorganisationen, Widerstandskämpfer und zum Teil auch völlig unbekannte, mutige Französinnen und Franzosen ermöglichten den Gefangenen das Überleben im Lager.

Lebensmittel und Kleidung, die Organisation von Papieren, welche z.B. eine Ausreise über Marseille ermöglichten, die Buchung von Schiffspassagen, Geld, aber auch die stete Vergewisserung in Briefen, dass die Angehörigen und Freunde und an sie denken, halfen den Gefangenen.

Am besten dokumentiert sind die Biografien und Hilfsaktionen von Lothar Geismar und Heinz Bähr.

Lothar Geismar

Abb.: Familienfoto mit Freunden neben dem Münster St. Stephan in Breisach: v.r.n.l. Ruth Bähr, Lothar Geismar, seine Schwester Erna Maier, zwei Freunde und Neffe Hans Jürgen; im Hintergrund die Kulisse der Breisacher Festspiele, vor 1937, Sammlung Blaues Haus Breisach.

Lothar Geismar (Breisach 1905–1998 Lissabon) war der Sohn von Jakob Geismar (1869–1912) und Rosa Geismar geb. Uffenheimer (1879–1942). Er und seine Schwester Erna Maier (1903–1942) waren in der Judengasse in Breisach, unweit des Blauen Hauses (heute Rheintorstr. 13) aufgewachsen. Lothar Geismar hatte eine kaufmännische Ausbildung und arbeitete für eine orthopädische Schuhfirma.

Er floh (vor 1933?) nach Lissabon in Portugal und bemühte sich von dort fortwährend darum, seine Mutter, Schwester und den Neffen bei der Flucht aus Deutschland zu unterstützen, leider vergeblich. Er half auch vielen anderen Breisachern aus der Ferne, z.B. Clara Eisemann, der Frau des Kantors Michael Eisemann. Ihr Fluchtweg in die USA führte über Lissabon. 

Nachdem Mutter, Schwester und Neffe ins Camp de Gurs deportiert wurden, schickte Lothar Geismar Lebensmittel ins Internierungslager, die man als Tauschmittel verwenden konnte, z.B. Sardinen, Schokolade und Kaffee. Zu den Adressaten seiner Päckchen gehörten auch Fanny und Ruth Bähr, die ihm für die Sendungen, seine “Schokoladenpäckchen”, dankten. Aus dem Camp des Milles stammen Dankesbriefe an ihn von Heiner Geismar und Julius Fröhlich. Weitere Korrespondenzen sind von Egon Blozheimer aus Toulouse, Dr. S. Pfeifer (arbeitete außerhalb des Lagers Gurs als Waldarbeiter und konnte so etwas dazuverdienen und die Internierten unterstützen, Brief an Lothar Geismar vom 25. Januar 1942 aus Esquiule [Département Pyrénées-Atlantiques; Région Nouvelle-Aquitaine, nahe Oloron-Sainte-Marie]

Schwester und Mutter erinnerten ihn in den Briefen an das Einholen von Schiffspassagen, die notwendigen Papiere für ein Entkommen. 

Nach dem Krieg heiratete Lothar Geismar in Portugal Hortense, die im Jahr 2000 Briefe und Fotos der Familie ihres Mannes Lothar einem Bekannten aus Breisach für zwei Tage zum Kopieren gab. So kam der Förderverein in den Besitz der Briefsammlung.

Brief von Erna Maier an Lothar Geismar vom 20.1.1942

“...Nun zu was Wichtigerem und zwar zu uns; hier weiß kein Mensch genau, ob es noch eine Emigration nach U.S.A. gibt oder nicht; auf jeden Fall braucht man noch ein Papier von drüben, …

Nun bitte ich Dich dringend, ab und zu zur Hicem (Hilfsorganisation für die jüdische Auswanderung, Anm. d.R.) zu gehen und wenn Schiffe gehen, doch zu sorgen, daß wir Passagen bekommen, das ist im Moment das Wichtigste; ich hoffe bestimmt daß, wenn man auf das neugeforderte Papier eine Einreise nach U.S.A. bekommt, man wohl auch wieder eine Durchreise durch Portugal bekommen wird; …

Wir sind so froh, daß Du uns noch die Sachen geschickt hast, die nun nicht mehr gestattet sind, vor allem Kaffee und Schok[olade]. …Wir müssen uns nun wohl mit Sardinen begnügen, sind aber sehr froh darum…”

Dr. Heinz Bähr

Abb. Heinz Bähr mit seinen Cousinen Margot Bähr (re.) und Ruth Bähr (li.), vor 1937, Sammlung Blaues Haus Breisach.

Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Eisenwarenhandlung Bähr in Breisach gegründet. Die jüdische Familie Bähr war gut situiert und angesehen. In zweiter Generation wurde sie von den Brüdern Julius und Hermann Bähr weitergeführt. Julius war mit Natalie Bähr verheiratet. Ihr gemeinsamer Sohn Heinz (1910–1997) gehörte zusammen mit seinen beiden Cousinen Margot und Ruth zu den einzigen jüdischen Kindern, die das Rotteck-Gymnasium in Freiburg besuchten und dort ihr Abitur machten. Er studierte Jura und promovierte. Aufgrund des seit 1933 geltenden Berufsverbots für jüdische Beamte konnte er seinen Beruf nicht ausüben. Er half einige Jahre im Eisenwarengeschäft des Vaters und Onkels aus und gestaltete aufgrund seines zeichnerischen Geschicks die Verkaufskataloge. Ihm gelang 1937 die Emigration in die USA. Von dort versuchte er alles ihm Mögliche, um seine Familie nach den Novemberpogromen 1938 und der Deportation in das Lager Gurs 1940 zu retten. Die Briefsammlung des Blauen Hauses lässt seine unermüdlichen Bemühungen nachvollziehen, seinem Vater, seinem Onkel, der Tante und seiner Cousine Ruth zur Flucht zu verhelfen. Dies geschah auf offiziellem Weg über das Amerikanische Konsulat sowie über private Kontakte. Er lieh sich Geld, um Überweisungen an eine französische Bank im unbesetzten Frankreich zu leisten und Schiffspassagen zahlen zu können. Seine Pakete mit warmer Kleidung und Nahrungsmitteln halfen, die Lebensumstände vor Ort zu verbessern.

In der mehr als 1000 Seiten umfassenden Briefsammlung der Familie Bähr wird deutlich, wie wichtig Heinz Bähr nicht nur für die zurückgebliebene Familie, sondern auch für andere Mitglieder der Breisacher Gemeinde war.

Unterstützer aus dem französischen Widerstand

Hermann Bähr starb nach weniger als drei Monaten im Lager Gurs im Januar 1941 an einer Lungenentzündung. Nach seinem Tod wurde seine Ehefrau Fanny, die mit ihm gemeinsam deportiert worden war, aus dem Lager “beurlaubt”. Sie und Tochter Ruth tauchten bis zur Befreiung durch die Alliierten 1944 unter. Zwei Jahre lang wurden sie von einer französischen Familie auf einer Farm versteckt, der Campagne Ramas über St. Antoine, einer Vorstadt von Marseille. Ruth erhielt zudem Unterstützung durch ein Mitglied der französischen Widerstandsbewegung, André Weingarten, in Form von Lebensmittelkarten. Hilfe kam auch von einer Mitarbeiterin der Fremdenpolizei. “Mademoiselle Suzanna nahm meine Akten an sich, damit sie nicht der Gestapo in die Hände fielen. Sie stellte mir auch eine neue Ausweiskarte aus,
die sie alle 2 Monate verlängerte.” Erst 1946 konnten Fanny und Ruth Bähr in die Vereinigten Staaten emigrieren.

Julius Bähr wurde 1941 ins Camp in Les Milles nahe Marseille verlegt und konnte im August 1941 über Barcelona nach New York ausreisen.

Das Blaue Heft 1 dokumentiert das Schicksal der Familie Bähr auf S. 26–28. 

Adrian Specht wertet in seiner Bachelorarbeit einen Teil der Korrespondenz der Familie aus.
DAS BLAUE HEFT 1 (ONLINE PDF VERSION)